Der Wahnsinn um Schönheitsideale bei Obst und Gemüse

24
Aug 2022
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Weltweit werden jährlich schier Unmengen an Lebensmitteln verschwendet. Etwa 1,3 Milliarden Tonnen landen jedes Jahr auf dem Müll. Davon fallen allein 88 Millionen Tonnen in der EU an. Und auch bei uns in Deutschland sieht es nicht besser aus. Jährlich werden hier rund 12 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet.

Rote und grüne Äpfel
Obst und Gemüse landet oft nur aufgrund von Schönheitsfehlern auf dem Müll.

Lebensmittelabfälle entstehen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von Anbau über Handel bis hin zum Haushalt. Dabei entstehen fast ein Viertel aller Abfälle in der Produktion, obwohl bis zu 90 Prozent dieser Verluste vermeidbar sind. Diese Lebensmittel sind nämlich perfekt zum Verzehr geeignet.

Frisches Obst und Gemüse wird am häufigsten weggeworfen. Es wird also Obst und Gemüse für die Tonne produziert. Für die Erzeugung werden natürliche Ressourcen wie Ackerland, Wasser und Energie benötigt, die dadurch auch unnötig verbraucht werden. Nicht zu vergessen, die verursachten Emissionen! Das fängt bei Treibhausgasen an, welche bei der Düngung der Felder freigesetzt werden, geht über den Transport, die Lagerung, Kühlung und die Weiterverarbeitung bis hin zur Entsorgung.

Hättest du gewusst, dass jährlich sage und schreibe 1,4 Millionen Tonnen Lebensmittel noch bei oder direkt nach ihrer Erzeugung entsorgt werden? Um den Verlust auszugleichen, wird mehr gepflanzt - was wiederum wertvolle Ressourcen verbraucht. Und das unnötigerweise, wie wir finden. Landwirt:innen machen das im Übrigen nicht unbedingt freiwillig. Sie befürchten allerdings, dass ihnen der Handel unschönes Obst und Gemüse nicht abnimmt und sortieren deshalb nach der Ernte vor. So kann es im günstigsten Fall immerhin an die eigenen Nutztiere verfüttert oder auf den eigenen Feldern kompostiert werden, oft wird aber von der Norm abweichendes Obst und Gemüse vernichtet. Aber Moment mal, welche Normen?

#1 DIE SPEZIELLEN VERMARKTUNGSNORMEN

Für zehn Obst- und Gemüsesorten gibt es noch spezielle Vermarktungsnormen, die in der EU-Gesetzgebung verankert sind. Dazu gehören unter anderem Äpfel, Birnen, Erdbeeren, Kiwis, Paprika und Tomaten. Hierbei gibt es einige sehr spezielle und in unseren Augen absurde Anforderungen, aufgrund derer es Unmengen an leckerem Obst und Gemüse nicht in den Handel schaffen. Zum Beispiel müssen Blattsalate unmittelbar unter dem Blattansatz glatt abgeschnittene Wurzeln aufweisen. Kiwis dürfen keinen Stil mehr haben und Doppel- und Mehrfachfrüchte, die wir liebevoll Zwillingskiwis nennen, sind unzulässig. Zitrusfrüchte dürfen nicht dunkelgrün gefärbt sein, obwohl die Farbe nicht unbedingt etwas über den Reifegrad aussagt.

Trotz der geltenden EU-Normen wäre der Verkauf ungenormter Produkte möglich, solange sie entsprechend gekennzeichnet und von Produkten der Güteklassen Extra, I und II unterschieden werden. Klasseneinteilung bei Obst und Gemüse? Ja, ganz recht!

  • Erzeugnisse der “Handelsklasse Extra” haben die vermeintlich höchste Qualität und müssen frei von jeglichen Fehlern, gut geformt und einheitlich in ihrer Farbgebung und Größe sein.
  • In die “Handelsklasse I” wird Obst und Gemüse eingeordnet, das ein paar wenige Anforderungen nicht erfüllt und leichte Form- und Farbfehler haben darf.
  • In die “Handelsklasse II” werden die Erzeugnisse eingestuft, die die wenigsten Anforderungen an Schönheit und Makellosigkeit erfüllt. Größere Abweichungen von den Vermarktungsnormen was Form, Farbe und Entwicklungsstadium betrifft, werden toleriert.

Interessant ist, dass fast alle biologisch angebauten Erzeugnisse eben dieser letzten Klasse zugeordnet werden. Verzehrbares Obst und Gemüse, das geschmacklich einwandfrei ist und keinerlei Mängel in der Qualität der Inhaltsstoffe aufweist, wird in Klasse ll eingestuft und kann demnach zumindest mit geringerem Gewinn vermarktet werden. Auf diese Weise könnte der Handel theoretisch fast alles Obst und Gemüse mit Schönheitsfehlern verkaufen. Dennoch kommen fast 30 bis 40 Prozent des ökologisch erzeugten Obstes und Gemüses gar nicht erst in den Handel, weil es Verformungen oder Verfärbungen hat. Aber wieso?

#2 DIE ZUSÄTZLICHEN QUALITÄTSANFORDERUNGEN DES HANDELS

Neben den EU-Richtlinien gibt es Anforderungen des Handels, welche manchmal sogar strenger sind als die Anforderungen der EU-Vermarktungsnormen. Dazu zählen Vorgaben zu äußerlichen Merkmalen wie Größe und Form der Obst- und Gemüsesorten, Einheitlichkeit und Unversehrtheit. Hintergrund solcher Normen ist es auch, den Transport zu erleichtern und einheitliche Gewichtsmengen, also eine gewisse Vergleichbarkeit, auf dem Markt sicher zu stellen. Viele Normen schießen unserer Meinung nach übers Ziel hinaus. Die Natur ist nunmal nicht geordnet und erzeugt nicht jede Kartoffel in derselben Größe wie das z.B. in der industriellen Produktion einer Kaffeetasse der Fall ist.

#3 DIE FRAGE NACH DER VERANTWORTLICHKEIT

EUROPÄISCHE UNION

Die sogenannte Gurkenverordnung stand lange synonym für eine als bevormundend empfundene Bürokratie. Es war gar die Rede von ungehemmter Regelungswut der europäischen Verwaltung. Von Regelungen, die nicht den Geschmack als wesentliche Eigenschaft eines Lebensmittels in den Vordergrund stellte. Der “Ursprungsgedanke” der Normen war es, Standards zu schaffen, die Händler:innen, Verbraucher:innen und Verarbeitenden europaweit vergleichbare Produkte garantieren. Einheitlich geformtes Obst und Gemüse ließe sich leichter automatisiert verarbeiten, in genormte Kisten packen und transportieren. Das aber war keine Erfindung der EU-Bürokratie, sondern der Wunsch nach einheitlich geformtem Gemüse aus der verarbeitenden Industrie, von Spediteuren, Supermarktketten und der Agrarwirtschaft.

MITGLIEDSTAATEN

Letztlich sind die Nationalstaaten für die Umsetzung von EU-Recht verantwortlich, die meist in der Umsetzung Spielraum lassen. Die Mitgliedstaaten dürfen den Verkauf von Erzeugnissen erlauben, die nicht den Normen entsprechen - solange diese entsprechend gekennzeichnet sind, um sie von den Produkten der Güteklassen Extra, I und II zu unterscheiden.

BAUERN UND VERBÄNDE

"Der 1. Juli 2009 steht für die Rückkehr der krummen Gurke und der knorrigen Karotte in unsere Regale", betonte EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel in Brüssel. Sie hatte den Schritt bereits im November nachdrücklich begrüßt. Kritik kam dagegen von den EU-Ausschüssen der Bauernverbände und ländlichen Genossenschaften. Auch der Deutsche Bauernverband nannte die Abschaffung „unverständlich und nicht nachvollziehbar“ und warnte vor „Wühltischen“ beim Selbstbedienungsverkauf im Supermarkt. Der Verband brachte zudem vor, dass es sich bei der Abschaffung der Norm um reine Symbolpolitik handle.

HANDEL

Der Handel kritisierte, dass nach der Streichung der Norm die Vergleich- und Stapelbarkeit der Produkte nicht mehr gegeben sei. Ebenso bedient sich der Markt weiterhin der aufgehobenen Richtlinien, indem er sie teils als private Norm beibehält.

PRIVATE HAUSHALTE

Der Anspruch an das Aussehen von frischen Lebensmitteln hat sich gewandelt. Wir sind verwöhnt von leuchtend roten Tomaten, formschönen Karotten und makellosen Äpfeln. Verbraucher:innen sind bisher leider nicht bereit, denselben Preis für das vermeintlich unschöne Obst und Gemüse zu zahlen. Ein Großteil würde die Erzeugnisse mit Schönheitsfehlern kaufen, wenn es deutlich günstiger angeboten würde. Und genau da sehen wir das Problem: Wir bei etepetete geben nichts auf Normen, sondern uns ist die Qualität unseres Bio-Obsts und -Gemüses wichtig. Zudem schätzen wir die harte Arbeit und Mühe unserer Landwirt:innen, nehmen ihre Ware gerne ab, auf der sie sonst sitzen bleiben würden und betreiben beim Einkauf niemals Preisdumping.


Tipp:
Was du gegen die absurde Lebensmittelverschwendung tun kannst? Greif bei deinem nächsten Gang zum Supermarkt doch zur einsamen “Single”-Banane, pack den vermeintlich hässlichen Apfel in denen Einkaufsbeutel. Wenn du gemeinsam mit Freund:innen oder deiner Familie einkaufen gehst, mach ein Spiel daraus: Wer findet das ulkigste Gemüse? Oder noch einfacher: Bestell dir eine etepetete Box und werde Gemüse-Retter:in.

UNSERE MISSION UND VISION

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, an einem Punkt der Produktionskette Lebensmittel vor der Verschwendung zu bewahren. Zusammen mit einem Netzwerk an Landwirt:nnen haben wir ein Auffangbecken für bestes Bio-Obst und -Gemüse geschaffen, das nicht ganz der Norm entspricht. Mit deiner Hilfe kämpfen wir gegen die Verschwendung an!